Dienstag, 25. Januar 2011

Dienstag 8. Juni 2010: Kutaisi, Senaki (173 km)

Dieser geschützte Biwakplatzt war ein großer Glücksfall. Es geht nun weiter Richtung Passhöhe, der Rikoti Tunnel ist nach wie vor gesperrt. In der Nähe des Tunneleingangs auf etwa 1000 m gibt es zur letzten Stärkung einen guten Rastplatz mit Frühstück und fließendem Wasser. Oben angekommen, folgt eine nichtendenwollende, stundenlange Traum-Abfahrt durch dünn besiedelte, wunderschöne Landschaften. Am Straßenrand kann man immer wieder Töpferarbeiten oder Musikinstrumente kaufen.
Musikinstrumente
Stundenlange Traumabfahrt
Vorsichtiges Beschnuppern
Im antiken Kolchis
So habe ich schon um 14:30 h bei der Einfahrt nach Kutaisi 100 km zusammen, ohne mich nennenswert angestrengt zu haben. Im Zentrum angekommen, gibt es einen brutalen Wolkenbruch. Ich stelle mich vor einer türkischen Reiseagentur unter, sogleich wird mir Kaffee gereicht. Der Regen geht, so schnell er gekommen ist, erst dann entdecke ich das eigentliche Stadtzentrum. Kutaisi ist die zweitgrößte Stadt Georgiens und hat eine reiche Geschichte. Sie kommt schon in der Argonautensage vor, wir befinden uns hier im antiken Kolchis. Es wird viel gebaut, renoviert, die Altstadt ist teilweise schon top hergerichtet. Ein Schild zeigt "Baku 830 km" an. "Welcome to Georgia!" ruft mir ein auf einer Motorhaube Backgammon spielender Mann herüber.
Kutaisi
"Welcome to Georgia"
Und weiter geht es bei schöner Abendstimmung in den Sonnenuntergang hinein. Eine große Tafel weist auf ein "Swiad Gamsachurdia" Museum hin, über den widersprüchlichen ersten Präsidenten des unabhängigen Georgiens, der 1993 unter umgeklärten Umständen in West-Georgien ums Leben kam. Um 19:45 habe ich die 150 km zusammen und befinde mich 1000 HM tiefer als auf der Passhöhe heute morgen. Natürlich gibt es wieder keine Unterkunft und auch sonst keine Biwakgelegenheit. Egal, wie gern ich noch weiterfahren würde, meine Maxime war, nicht mehr bei Dunkelheit zu fahren. Bei Senaki gibt es schon viele zerfallene Häuser, man nähert sich merklich der Konfliktzone zu Abchasien. Kurz nach der Gabelung zwischen Poti und Zugdidi taucht linker Hand eine Art Hain auf, der von weitem ideal aussieht, denn es sind ausnahmsweise keine Häuser in der Nähe. Allerdings unkt, quakt und kräht es beim Näherkommen ganz schön laut. Und stinkt nach Öl. Ein Frosch hüpft mir über den Fuß. Das kann ja was werden. Ich suche ein bisschen herum, wo man sich hinlegen könnte.

Plötzlich sehe ich ein Paar Schuhe. O Schreck, sind hier Leute? Dann noch ein Paar Schuhe, dann ganz viele. Dann eine Jacke. Dann noch mehr Schuhe und Jacken sowie mannsgroße Gräben, schön symmetrisch einer neben dem anderen. Mich gruselt es ein bisschen, aber ich sehe keine Alternative, Sugdidi ist noch knapp 50 km entfernt, bis dorthin möchte ich in dieser zwielichtigen Gegend jetzt auf keinen Fall fahren.

In der Nacht werde ich abwechselnd geweckt von den grellen Blinklichtern der UN-Fahrzeuge, den ständig auf- und abfahrenden Eisenbahnzügen direkt neben meinem Schlafplatz, vom aufdringlichen Ölgeruch, dem gelegentlichen Regen, den aggressiven Mücken in den Regenpausen, und als Klangetppich immer die Frösche, Unken und Krähen (Hörprobe beim Klick auf das Bild nebenan). Im Halbschlaf verheddern sich die Gedanken, was muss sich hier abgespielt haben? Der große Ovid hätte hier sicher eine Verwandlungsgeschichte zur Hand gehabt, wie die quakenden Tiere einmal Menschen waren, die nun ihr Leid klagen, nachdem etwas schlimmes passiert ist.